In der Unregelmäßigkeit liegt die Regelmäßigkeit. Ein gutes Jahr nach der letzten Labelvorstellung ist es mir wieder ein inneres Bedürfnis euch ein kleines, aber großartiges Label vorzustellen. Diesmal ist es besonders interessant für alle Britcore/ UK Hardcore Hip Hop Enthusiasten, Fans & Heads. Somit absolutes Kontrastprogramm zu den bisherigen Sounds der vorgestellten Labels.
Im Interview erfahrt ihr neben der Historie des Labels auch, mit wie viel Leidenschaft, Liebe und Herzblut hier gearbeitet, vor allem aber, mit welcher, in meinen Augen zumindest, Radikalität der DIY und No Sellout Gedanke gelebt wird.
Kannst du dich bitte kurz vorstellen.
Mein Name ist „Rawman“; Eastside of Berlin – born and raised. Released 1978.
Bevor wir ausführlicher über das Label sprechen, kannst du etwas zu deiner Geschichte erzählen – wie bist du zur Hip-Hop Musik gekommen, welche musikalische Sozialisation hast du?
Das erste Mal (unbewusst) Notiz genommen vom Hip Hop Sound habe ich 1985/1986 auf RIAS 2, einem westberliner Radiosender. Wie sich später herausstellen sollte handelte es sich um den Seven Minutes of Madness Coldcut Remix des Tracks „Paid in Full“ von Eric B. & Rakim. Danach habe ich wochenlang vor meinem RFT Kassettenrekorder gesessen und darauf gewartet, dass das Teil nochmal gespielt wird – es sollte nicht dazu kommen.
Im Sommer 1989, es war ein Freitagabend, schaltete ich dann mal wieder das Radio ein. Die Mauer stand noch. Wir empfingen BFBS (British Forces Broadcasting Service ) aus UK. Die sendeten für die dort stationierten Soldat*Innen – Frequenz war glaube ich 98.8 auf UKW (war ja dann später KissFM, als die noch geil waren). Alles ziemlich verrauscht und das Radio wurde fortwährend verrückt, je nach Empfangsqualität. Es lief LL Cool J‘s „Mama said knock you out“ – das war‘s, es war sofort um mich geschehen. Ab diesem Moment habe ich jeden Freitag vor dem Radio verbracht und die Tunes mitgeschnitten. Dafür habe ich alle alten Erinnerungstapes meiner Mutter überspielt, was ziemlich viel Ärger bedeutete. War mir aber egal.
Später gab es dann die Hip Hop Radiosendung YO! von und mit Andre Langenfeld (schöne Grüße an dieser Stelle) auf DT64. Auch hier habe ich immer Mitschnitte gemacht. Lief immer sonntags von 19-20Uhr, später dann ebenfalls sonntags, aber von 4 bis 8 Uhr in der Frühe – habe ich natürlich alles aufgesaugt.
Nach der Wende dann ab in den Karstadt und von Public Enemy das Album „Fear of a black Planet“ auf Tape erbettelt – 22,99 DM war ja ein Haufen Kohle. Es folgte schnell „It takes a Nation of Millions …“, auch von Public Enemy – ebenfalls auf Kassette. Ich war dann 1992 auch auf einem Konzert von Public Enemy und den Beastie Boys. Man was hatten wir Schiss in Neukölln mit unseren Wollpullis rumzulaufen. Was wenn uns die Gangster die Tickets klauen. Wir sind dann auch nicht wie verabredet um Mitternacht aufm Parkplatz erschienen, so wie mit meiner Mutter verabredet, sondern kamen mit einem Taxi gegen 3 Uhr nachts nach Hause. Durfte dann natürlich auch noch meine Mutter zahlen, aber sie hat mir später verziehen. Der totale Fanatismus.
Keine Ahnung von Nix wollte ich dann natürlich noch viel mehr von Public Enemy haben und so fragte ich nach der Tapeversion von „Fight the Power“, in der Annahme es sei ein Album. Notgedrungen habe ich dann die Vinyl 12“ genommen, um dann festzustellen, dass nur ein Lied darauf enthalten ist – was für ein Beschiss habe ich mir gedacht. ABER, es war der Anfang vom Ende bzw. einer bis heute anhaltenden schweren Vinylsucht.
Dann ging es weiter mit dem Studium von Dankeslisten auf den verschiedenen Releases und so dringte man nach und nach weiter vor – EPMD, Cypress Hill, etc..
1991/92 sind nach wie vor die prägenden Jahre für mich und durch die Popularität von UK Sound und Hardcore Hip Hop in der Zeit bin ich auch klar drauf hängen geblieben. Es ging und geht nach wie vor um Geschwindigkeit, Noize und Message, weniger um dicke Eier und fette Karren – hat mich eh nie interessiert. In Berlin habe ich auch nie Leute getroffen mit denen ich das teilen konnte und wollte. Hier war gefühlt alles US Gangster Rap orientiert.
Ich habe dann „Yo Rap Revolution“ gelesen und da war auch ein kleiner Exkurs zu UK Hip Hop und Hardcore im Speziellen mit der Vorstellung einiger Gruppen. „Das ist wahrscheinlich die wüsteste und härteste Musik der Welt; Lokomotivrhythmus, Maschinengewehr-Lyrics und Noize Noize Noize …“, so sinngemäß im Buch nachzulesen. Silver Bullet, Gunshot, Hijack – ein einzigartiger Sound. Der Tunnelblick war nun da und es ging für mich nur noch um Hardcore, Britcore – alles andere wurde (leider) ausgeblendet oder missachtet. Releases, die ich heute geil finde, wie z. B. Lords of the Underground und der ganze andere Kram, waren absolute NoGo‘s. Die Devise war: alles was nicht Hardcore ist wird gedisst! Wahnsinn.
Ich bin dann dementsprechend auch regelmäßig nach Hamburg gefahren, um Platten zu kaufen. Die Läden dort hatten immer alles gut sortiert am Start – was waren das immer für geile Trips.
Es hatte sich derweil nie ergeben, dass ich auch nur irgendwie in irgendeiner Art und Weise in die Hip Hop Szene von Berlin involviert war geschweige denn Kontakte hatte. Ich hatte schlichtweg kein Interesse. Stattdessen Antifa und Hardcore Punk. Meine „Gang“ waren total unterschiedliche Leute, musikalisch und auch in anderen Belangen, aber wir waren halt ultralinks und Antinazi. Es war auch immer lustig mit Stiefeln, Iro, zerfetzten Klamotten in die Hip Hop Plattenläden zu kommen und nach UK Hardcore Hip Hop zu fragen – waren geile Zeiten.
Ich habe dann auch angefangen Drums zu prügeln oder in Hardcore- & Punkbands zu grunzen.
Wann hast du entschieden ein Label zu gründen? Gab es da ein Schlüsselerlebnis?
Naja, zuerst gab es ja das Mutterlabel Rawmantic Disasters Records. Ich hatte von 2008 bis 2014 eine brutale Band namens Peacebastard. Wir waren echt gut und hatten Aufnahmen gemacht, um eine 7“ EP zu veröffentlichen. Aber das Label war irgendwie unfähig, unwillig und so machte ich es eben selbst. Ab da ging es dann Schlag auf Schlag; es kamen immer mehr Releases raus, vor allem aus Schweden. Ich hatte mittlerweile auch jede Menge Kontakte durch die eigenen Bands und auch weil ich immer mit Freunden sehr viele DIY Shows über einen langen Zeitraum organisiert und durchgezogen habe. Die Künstler kamen aus Schweden, Japan, USA, etc..
Britcore und Hardcore Hip Hop war aber immer im Hintergrund präsent. Ich nerve bis heute alle damit und es klappt immer – es ist einfach der beste Sound. Jedenfalls kam es 2013 dazu, dass ich mit Planet of the Fakes aus Norwich in Kontakt kam. Durch das Internet, Myspace und später Facebook, gab es ja ganz neue und andere Vernetzungsmöglichkeiten. Ich machte mit Freunden schon ab 2007 eine Menge Liveshows mit Künstlern wie Hideouz Newcome, Mental Disorda, Killa Instinct, Dookie Squad und anderen. Alle meine Helden von Früher und wir machten Dinge zusammen, einfach traumhaft. Das war alles sehr easy mit denen, da die alle gut drauf waren und nach wie vor sind, sprich komplett down to earth, nicht abgehoben – es geschieht alles auf Augenhöhe. Mit Planet of The Fakes machten wir dann im Jahr 2013 zwei Vinyl 12“es. Das war die Geburtsstunde von Britcore Rawmance. Ein Mitglied der Crew aus Norwich, Mr.Tibbz, ist nach wie vor in die Labelarbeit involviert. Er kümmert sich um alle Designz und Artworks.
Die Motivation war bzw. ist grundlegend die, dass es einfach nicht genug Hardcore Hip Hop gibt. Viele geile Sachen wurden nie realisiert und/oder sind nach wie vor ungehört. Ein Britcore Track auf die Ohren zu bekommen, den man noch nicht kennt, ist immer noch so als wenn Weihnachten und Geburtstag zusammen auf den gleichen Tag fallen – für mich einfach einzigartig und mit nichts zu vergleichen. Also wird alles selbst gemacht, denn wer, wenn nicht wir? Wir haben alle Möglichkeiten.
War von Beginn an klar, dass es straight Rap aus dem Vereinigten Königreich und nur auf Vinyl sein wird?
Ja, absolut. Alles was ins eng gefasste Konzept passt wird auch umgesetzt. Das heißt, wir machen UK Hardcore, aber auch Projekte weltweit, wenn diese sich an dem Sound orientieren. Die Idee war auch immer, überhaupt nicht divers oder beliebig zu sein/werden. Das Label und die Releases sollen zu 100% das bieten was sie versprechen: Britcore/ Hardcore Hip Hop! Und das natürlich nur Vinyl. Ich hasse CDs und ich komm‘ überhaupt nicht auf diese Beliebigkeit von Downloads klar. Es geht vor allem darum dem Ganzen immer jeweils die Wertschätzung und Liebe gegenüber zu zeigen, die es verdient. Deswegen gibt es auch keine Whitelabels ohne Cover. Es geht immer um das Ganze, um Dokumentation und Respekt gegenüber den Artists und der Kunst.
Was ist für dich der ausschlaggebende Punkt, um ein Projekt zu veröffentlichen?
Wie oben beschrieben muss es ins Raster passen. Es muss mir zuallererst gefallen und mich überzeugen. Ehrlich – ich mache das Label eigentlich nur aus Eigennutz. Das ist eine totale Egosache, denn ich will ja den Sound und ob sich das dann gut verkauft interessiert mich nur sekundär. Wenn die Künstler*Innen mit dem Endprodukt zufrieden sind, denn ist ja deren Musik bzw. Kunst, dann ist der Plan voll aufgegangen. Das hat bis jetzt immer gut geklappt. Und dann gibt es ja noch die 100 bis 200 Verrückten weltweit, die wie ich mit Tränen in den Augen zu Hause sitzen, wenn sie wieder ein neues Release in ihren Händen halten und glücklich sind. Etwas was sie berührt so wie es mich berührt.
Suchst du selbst nach Künstlern oder werden dir auch Demotapes bzw. Links zu Tracks zugeschickt?
Sowohl als auch. Es gibt Projekte bei denen ich den Künstlern über Jahre regelrecht auf die Nerven gehe, aber natürlich kommen auch Artists auf uns zu und bieten Sachen an. Teilweise brauchen Platten zwei bis drei Jahre bis sie fertig sind – alte Tapes und Recordings sichten, restaurieren, alte Poster, Flyer und Photos sammeln, Cover gestalten und und und. Da steckt immer ein Haufen Arbeit und Zeit drin, aber es lohnt sich absolut.
Das Credo bei dir heißt ja DIY & Non Profit. Was steckt hinter dieser Herangehensweise, da man ja ohne Profit kein Geld hat, um mögliche Rechnungen, Auslagen etc. zahlen zu können?
Das ganze ist finanziell ruinös. Ich fahre IMMER Minus ein. Das ist aber scheißegal, denn darum geht es nicht. Ich habe einen normalen Job und lebe den Traum es selbst umsetzen zu können. Es gibt auch nie irgendwelche Verträge oder Geldgeschichten. Die Musiker bekommen einen beträchtlichen Teil der Vinylpressungen und mit denen können sie machen was sie wollen. Auch die Rechte der Musik liegen immer bei den Artists und da bleiben sie auch. Wenn also die Leute zeitgleich Downloads oder CDs anbieten wollen, dann können sie das jederzeit tun, da es uns nicht interessiert – ist halt deren Sache. Wir machen die Vinylversion und legen da alle Kraft, Zeit und Energie rein die wir haben. Ich mache bei diesem ganzen Musicbiz Scheiss nicht mit – ich verachte die Industrie. Das ist auch meinem DIY-NONPROFIT Punk/Hardcore Backround geschuldet. Dementsprechend gibt aus auch keinen Onlineshop, Bigcartel oder sonstwas mit einem „Buy It Now“ oder „add to cart“ Bullshit Button. Wer die Platten haben will soll sich ein bisschen anstrengen und wenigstens eine nette Email schreiben. Wir wollen den persönlichen Kontakt und Kommunikation – gegen die Beliebigkeit und den puren Konsumwahnsinn.
Gibt es in Deutschland auch so etwas wie ein Netzwerk für UK Rap bzw. für den Sound des Britcore? Vielleicht sogar Veranstaltungen wie es sie z. B. mit Mass Hysteria gab?
Nicht wirklich. Die Hamburger Leute von undergroundunited.de und Naked Ape Records machen die geilsten Sachen, alles nochmal auf einem ganz anderen Level als wir. Da geht es auch nicht um Konkurrenz – wir unterstützen und helfen uns gegenseitig. Sie sind unsere Brüder und Schwestern im Geiste. Die machen wirklich unfassbar gute Sachen. Die Hamburger sind auch die einzigen, die hin und wieder was Live auf die Beine stellen, aber das ist wirklich selten. Ich versuche auch immer so ein zwei Geschichten im Jahr zu machen, wo ich dann auch alles in Eigenregie durchziehe – Booking, Driving, Werbung, etc.. Die Briten lieben unseren Enthusiasmus und die Atmosphäre in den Läden. Ist halt echt kein Vergleich zu den kleinen Pubs in UK – hier bei uns drehen immer alle durch. Wenn die dann hier bei Hausprojekten oder in besetzten Häusern vor 200 Punks stehen und alle drehen durch, dann ist meist alles aus – pure energy. Das ist auch meine ganz eigene Mission: ich möchte so viele Leute wie möglich anfixen, in der Hoffnung, dass es wieder mehr Releases und Noize gibt – einfach das Hip Hop, vor allem musikalisch, wieder radikaler wird. No fucking sellout!
In Zukunft wird es mit Sicherheit wieder die ein oder andere Veröffentlichung geben. Ist es dir möglich schon Details zu nennen?
Als nächstes kommt die DJ Yess 12“ EP mit acht Tracks aus den Jahren der goldenen Era in UK 1988-1994. Straight UK Rap to the max! Wir sind immer am arbeiten und im Kontakt mit Künstler*Innen. Derzeit strecke ich meine Fühler aus, um diese völlig überteuerten privaten Veröffentlichungen aus UK, welche es nur in ganz kleinen Auflagen gab/gibt, zu re-releasen. Das ist mal was ganz Neues, da bis jetzt alles unreleased und exklusiv auf dem Label ist. Es gibt aber noch unfassbare Diamanten, die ich zwar alle habe, aber die dringend einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen. Hardcore never die!
Und abschließend: hast du ein Lieblingsrelease auf dem Label?
Boah … ganz schwer zu sagen. Musikalisch sind meine Favouriten Krack Free Media – beide 12“ EPs, die True Style 12“ EP und nicht zu vergessen die First Frontal Assault 12“ – diese wegen der Emotionalität. Ich meine, ich weiß noch ganz genau wie ich 1994 in Hamburg die „Atomic Airraid“ 12“ auf Music Of Life Records von denen gekauft habe. Zwar nur ein Song drauf, aber den dann monate-, ach was sag ich, jahrelang gefeiert und dann mach ich mit denen so eine brutale 3-Track 12“ mit unveröffentlichten Tracks aus dem Jahr 1991 – das ist doch der Wahnsinn! Vom Qualitätslevel her, also was die Gesamtheit betrifft, ist hier die Def Defiance DoLP zu nennen. Nur megafette Songs von 1992, superkrasse Aufmachung – hier ist das Gesamtpaket schon beeindruckend wie ich finde und wird der Sache absolut gerecht.
An dieser Stelle möchte ich mich für das ausführliche Interview bei „Rawman“ bedanken und freue mich auf die zukünftigen Releases.
Auch wenn noch einige fehlen, so habe ich vom Label ebenfalls ein paar Vinylscheiben in der Sammlung:
Damit ihr nicht denkt, die Artworks werden alle monochrom gehalten – hier zu sehen, die mir leider noch fehlenden Tonträger und ihre Cover:
Für einen kleinen Eindruck vom Sound des Labels, hier etwas Musik inklusive eines freien Downloads für eure Musikbibliothek:
Damit komme ich zum Ende der vierten Labelvorstellung. Ich hoffe, dass ihr wieder etwas neues entdecken konntet und freue mich auf Feedback. Bis dahin checkt die Musik, die Links, unterstützt Künstler und Label. Wenn Interesse an der einen oder anderen Vinylscheibe besteht oder ihr einfach connecten möchtet, dann könnt ihr in Kontakt treten via Email … rawmanticdisasters@gmail.com
Blessings&1luv – DJ CanNikZ.